Verleihung des Kunstpreises des Landkreises Haßberge 2020

Jun 21, 2020 | Kunstpreis, Veröffentlichungen

Am 21. Juni wurde im Innenhof von Schloss Oberschwappach, dem ehemaligen Amtssitz der Ebracher Zisterzienser, in einem feierlichen Rahmen der Kunstpreis des Landkreises Haßberge sowie der Sonderpreis und der Publikumspreis 2020 übergeben.

Die Gewinner sind:

Tommy Petzold aus Erlangen erhält den Kunstpreis des Landkreises Haßberge 2020 für sein Werk

„Das Formelmeer der Grundlagenforschung“

1972 in Hohenmölsen (in Sachsen-Anhalt) geboren, absolvierte Petzold nach seiner schulischen Ausbildung zunächst eine Bergbauerlehre und anschließend, ganz anders, eine Lehre zum Fließenleger. 1996 zog er von Sachsen-Anhalt nach Erlangen und begab er sich, Abenteurer, der er bis heute geblieben ist, wenig später auf eine 5-jährige Weltreise. Vor guten 10 Jahren erst begann Petzold, der ehedem fleißig fotografierte, autodidaktisch zu zeichnen. Und das tut er bis heute: explosionsartig, exzessiv und manchmal bis an die Grenzen seiner körperlichen Erschöpfung.

„Das Formelmeer der Grundlagenforschung“ nennt Tommy Petzold seine für den Kunstpreis als Wettbewerbsbeitrag eingereichte Zeichnung. „Zeichnung?“ werden Sie sich angesichts des monumentalen Bildes gefragt haben. Ja: Zeichnung! Sie ist tatsächlich mit Bleistift und mit Buntstiften ausgeführt, in wochenlanger Feinarbeit auf einem speziellen Karton von 1,5 m Höhe und 3 m Breite.

Und was bekommen wir auf diesem Karton zu sehen? Ein hoch komplexes, collageartig zusammengestelltes Sammelsurium motivischer Versatzstücke, die wie Gedankensplitter szenisch in einander übergehen:

Wir erkennen das wellenförmige Bug eines imaginären Schiffes auf seiner Fahrt durch ein Meer aus Notizzetteln mit chemischen Summenformeln. Links oben sprengt blutrotes Wasser über die Formatgrenzen, rechts außen ragt kreuzförmig ein Mast in die Höhe, auf dessen zusammengerolltem Segel geborstene Eier aufgereiht wurden. Neben dem Segelmast sprengen, wie aufgepeitschte Wassertropfen, Schmierzettel mit weiteren chemischen Formeln und Berechnungsmodellen in die Höhe.

Je näher wir an das Werk herantreten und je eingehender wir es studieren, desto mehr Einzelmotive erkennen wir, die uns in ihrem szenischen Zusammenhang zunächst unverständlich bleiben, in ihrer Gesamtheit fremdartig und rätselhaft. Wir sehen typographisch chiffrierte Atom-Modelle, daneben ein abnorm geäderter Wal und eigentümlich skelettierte Fische sowie fremdartige Algen und Meerespflanzen.

Erinnern wir uns an den Titel dieser viel-gliedrigen Arbeit: „Formelmeer der Grundlagenforschung“. Chemische Summenformeln, mathematische Notizen, überhaupt: Notizzettel – wir fertigen sie an, um uns mit ihnen die Welt um uns herum zu erklären. Der Sturm, der die Szene bewegt, ist der energiegeladene „Sturm der Forschung“. Das Zettelmeer ist in Wirklichkeit ein Formelmeer: der windgepeitschte „Ozean des Wissens“. Das Schiff, das wir zu erkennen glauben, ist faktisch auf dem Bild überhaupt nicht vorhanden. Es setzt sich lediglich imaginär und virtuell zusammen – und zwar aus einer Vielzahl von naturwissenschaftlich-mathematischen Ansätzen, mit denen wir uns die Welt zu erklären versuchen.

Alles ist in Bewegung, alles ist im Fluss, alles ist gejagt und getrieben von einer geheimnisvollen stürmischen Macht: der Macht der Forschung und der Wissenschaft. Das Streben nach Erkenntnis kann in Selbstzerfleischung münden – symbolisiert in einer herzfraßgierigen Hydra. Es kann aber auch Impulse in uns auslösen, die unser Dasein beflügeln. Forschung und Wissenschaft können anregen, können faszinieren und können uns in unserem tiefsten Inneren in Wallung versetzen. Erkenntnissuche ist die treibende Kraft, die uns auf die nächste Ebene unseres Daseins erhebt.

Sehr komplex das Ganze, szenisch surreal dargeboten, inhaltlich ausgesprochen tiefgründig und nicht immer einfach zu verstehen. Petzold definiert Wasser nicht als H2O oder als Lebenselixier, er prangert mit seiner Arbeit nicht den Klimawandel an und nicht die Umweltverschmutzung, schon gar nicht plakativ oder mit erhobenem Zeigefinger, sondern er benutzt Wasser als Sinnbild: als Metapher für eine Flut von verworrenen Ideen, von systemischen Konstrukten und von logisch stringent geglaubten Forschungsansätzen, die am Ende in ihrer Gesamtheit jedoch ebenso irrational erscheinen wie die Zeichnung selbst, die der Künstler mit bravourösem handwerklichem Können geschaffen hat.

Ein Werk, das Rätsel aufgibt, ein Werk das uns Staunen macht und ein Werk, das uns in seiner gestalterischen wie inhaltlichen Vielschichtigkeit dazu einlädt, davor zu verweilen und seine enigmatischen Bedeutungszusammenhänge zu ergründen. Für diese außergewöhnliche, spannende und faszinierende Arbeit erhielt er den Kunstpreis des Landkreises Haßberge. 

Peter Schoppel aus Gundelsheim erhält den Sonderpreis 2020 für sein Werk

„Arbors Tränen“

Peter Schoppel, geboren 1958 in Bamberg, absolvierte zunächst eine Ausbildung zum Bauzeichner, ehe er sich durch Teilnahme an diversen Kunstkursen sowie durch Lehrgänge an der Europäischen Kunstakademie in Trier professionell auf den Gebieten der Zeichnung und der Malerei hat ausbilden lassen.

Seit 1987 unterhält Schoppel in Gundelsheim ein eigenes Atelier, seit 2005 ist er hauptberuflich als bildender Künstler tätig und hat er an zahlreichen Einzel- und Gemeinschaftsausstellungen teilgenommen: überwiegend im süddeutschen Raum sowie im benachbarten Ausland, vor zwei Jahren gar in China. Er ist Mitglied im „Bund Fränkischer Künstler“ und im BBK Oberfranken und Dozent an privaten Kunstakademien.

Seine Serie „Arbors Tränen“ bezieht sich auf die schwindenden Baumbestände infolge versiegenden Wassers. „Arbor“ (lateinisch für „Baum“) personifiziert sich hier zu einer virtuellen Symbolfigur. Motivische Fragmente eines Baumes finden sich jeweils im Zentrum der Arbeiten. Umrahmt und überfangen wird dieses zentrale Motiv durch systematische Rasterfelder, die bei Schoppel symbolisch für das Zeitalter der Digitalisierung stehen: für das Zeitalter der zunehmenden Technisierung und der fortschreitenden Verdrängung der Natur aus unserem täglichen Leben. Die Bäume stehen als abgestorbene, entlaubte und verdurstete Relikte einer vormals intakten Welt metaphorisch für die Entfremdung des Menschen von Fauna und Flora. Letzte Bewässerungsversuche sind gescheitert; die Tränen, die Arbor bis vor Kurzem vergossen hat, sie fließen nicht mehr. Sie sind ebenso versiegt wie die letzten Reste von Leben. Ohne Wasser aber, und das ist der unmittelbare inhaltliche Bezug zum Thema des diesjährigen Kunstpreises, ist Arbor, sind die Bäume nur noch ein Schatten ihrer selbst.

Interessant an den Arbeiten von Peter Schoppel ist, neben ihrem zeitkritischen Inhalt, die Technik, in der sie geschaffen wurden: nämlich in einer Kombination aus Radierung und Acrylfarbenmalerei. Ich kenne, ehrlich gesagt, keinen anderen Künstler, der diese beiden Techniken bildgestalterisch mit einander kombiniert. Dabei werden die Acrylfarben von Schoppel nicht alla prima auf die zuvor als Radierung geschaffene Bildfläche aufgetragen, sondern innerhalb abgeklebter Farbfelder und Farbflächen in schichtenweiser Übereinanderlagerung: ‘zigfach, sodass die Farbfelder nach dem Entfernen der umgebenden Klebebänder eine scharf konturierte, gegenüber dem Papier leicht erhöhte Fläche ausbilden, den Bruchteil eines Millimeters hoch, doch erhaben genug, reliefartig wahrgenommen zu werden und uns mit ihrem Wechsel von „Drüber“ und „Drunter“ in einen formfarblichen Rhythmus eintauchen zu lassen, der den Charakter des Sukzessiven von Ablaufprozessen anschaulich visualisiert.

Auf solche prozessuale Abläufe verweist auch das in Rinnsalen über die Bilder sich ziehende, mit Kupferpartikeln angereicherte Eisen-3-Chlorid, das zuvor für die Ätzung der Radierplatten verwendet wurde und jetzt, mit allmählich verblassender Farbintensität, den versiegten Tränen Arbors gleich, den Bildgrund als „Malschatten“ expressiv überzieht.

So fand die Jury, dass Inhalt und gestalterische Umsetzung, mithin die außergewöhnliche Technik, die Peter Schoppel in seiner Serie „Arbors Tränen“ zum Einsatz bringt, eine in sich funktionierende, inhaltlich sinnstringent entwickelte und gestaltungsästhetisch schlüssige Einheit bilden: ein kohärentes Ganzes, das eine besondere Würdigung verdient.

Olaf Schönherr aus Theres erhält den Publikumspreis 2020

“Main(e) Vision 2025”

1966 in Steinach geboren, absolvierte Schönherr während der 90er Jahre eine Ausbildung zum Glasgestalter, die er mit Meisterprüfung abgeschlossen hat. Zunächst richtete er sich ein Atelier in Neuhaus am Rennweg ein; seit 2012 lebt und arbeitet er in Theres, von wo aus er diverse Lehraufträge wahrnimmt, u.a. in Wolfach im Schwarzwald und in Derenburg im Harz. Er ist Mitglied im Meisterprüfungsausschuss der Handwerkskammer und Mitglied der Künstlervereinigung „Glasheimat Bayern e.V.“ – mithin ein anerkannter Glaskünstler also mit stattlicher Reputation.

Über seine kunstgewerbliche und didaktische Tätigkeit hinaus beschäftigt sich Olaf Schönherr auch mit der Anfertigung von freien Glasobjekten und mit der Installationskunst. Die Arbeit „Maine Vision 2025“ (Maine mit „a-i“ geschrieben, für den Fluss Main) spricht eigentlich für sich. Sie behandelt das Thema Wasser- und Umweltverschmutzung durch Plastikmüll. Wir sehen, über einer Bodenschicht aus Rindenmulch, eine Schubkarre mit 500 mundgeblasenen blauen und weißen Glaskugeln, die die Wassermoleküle des Mains und seine mäandrierende Fließbewegung symbolisieren.

Um zu erkunden, wie sehr die Umweltverschmutzung unsere Region belastet, sammelten einige Kinder des Kindergartens von Unter-Theres Plastikmüll an den Ufern des Mains. Selbst Autoreifen fanden sich, sehr zum Entsetzen der Kleinen, in freier Natur „wild“ entsorgt. Einige der von den Kindergartenkindern zusammengetragenen Abfallstücke wurden von Olaf Schönherr in seine Installation aufgenommen.

Schönherr versteht seine Arbeit als Appell an die Ausstellungsbesucher, der Verschmutzung unserer heimischen Gewässer und der fortgesetzten Vermüllung ihrer Ufer aktiv zu entgegnen. Nun wirken Installationen durch ihre raumgreifende und haptische Präsenz auf den Betrachter natürlich oft sehr viel unmittelbarer und eindringlicher als ein zweidimensionales Tafelbild. Eben dieser nahegehende, ich möchte sogar sagen emotionale Charakter der Installationskunst ist es, der sich im Votum der Ausstellungsbesucher eindrucksvoll widerspiegelt.